«Politik ist ein dauernder Aeschenplatz»
Im Interview mit den «kmu news» erinnert sich der neue Basler Grossratspräsident Bülent Pekerman an seine Anfänge in der Politik, erläutert, wie er seine berufliche Selbständigkeit und das politische Engagement unter einen Hut bekommt – und er erklärt, was die Politik und der Aeschenplatz miteinander gemeinsam haben.

Seit Februar 2023 amtiert Bülent Pekerman als Grossratspräsident und ist damit der höchste Basler.
«kmu news»: Herr Pekerman, als Grossratspräsident sind Sie der höchste Basler. Was bedeutet Ihnen dieses Amt?
Bülent Pekerman: Es ist mir eine grosse Ehre, dieses politische Amt nun für ein Jahr ausüben zu dürfen. Ich bin sehr stolz auf unseren Kanton, denn mit meiner Wahl setzten wir ein starkes Zeichen dafür, wie offen, vielfältig und divers unsere Gesellschaft in Basel ist. Stolz bin ich auch darauf, sowohl der erste grünliberale Grossratspräsident zu sein als auch der erste Fahrlehrer, der dieses Amt innehat. Nach meiner Wahl habe ich sehr viele positive Rückmeldungen von Vertreterinnen aus Migrantinnen- und Migranten-Organisationen erhalten, welche sich nun in der Politik auf höchster Ebene direkt vertreten und ernst genommen fühlen. Dieser Aspekt bedeutet mir im Hinblick auf den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und auf die Förderung der politischen Partizipation sehr viel.
Was erwarten Sie für Aufgaben im kommenden Jahr als Grossratspräsident?
Der Grossratspräsident ist der Leiter des Grossen Rats in Basel-Stadt und hat eine wichtige Rolle in der politischen Führung des Kantons inne. Konkret heisst dies, dass ich für die Leitung der Sitzungen des Grossen Rats verantwortlich bin und dafür sorgen werde, dass die Geschäfte ordnungsgemäss verlaufen. Ich werde den Kanton Basel-Stadt nach innen und aussen repräsentieren und eng mit anderen politischen Verantwortlichen und mit den Behörden zusammenarbeiten, um die Interessen des Kantons zu vertreten.
Wie sind Sie zur Politik gekommen?
Ich interessierte mich schon immer für die Politik, denn am Esstisch meines Elternhauses fanden immer wieder politische Diskussionen statt. Mit 15 Jahren in die Schweiz eingewandert, befand ich mich in einem mir völlig fremden Land, welches sogar vier Landessprachen hatte und den Schutz der Minderheiten in der Verfassung verankerte. Es war also nicht so wie in meinem Herkunftsland, wo es den Minderheiten nicht erlaubt war, ihre Muttersprache in der Öffentlichkeit frei zu sprechen. Das offensichtlich gut funktionierende politische System der Schweiz faszinierte mich sehr. Nach dem Erlangen der Schweizer Staatsbürgerschaft wollte ich nicht nur abstimmen und wählen, sondern auch aktiv mitwirken, um dieses System voranzutreiben. 2008 haben wir in Basel-Stadt die glp gegründet und bei den Grossratswahlen im selben Jahr wurde ich zum ersten Mal in den Grossen Rat gewählt.
Als Grossratspräsident zählt Ihre Stimme nur dann, wenn es zu einem Stichentscheid kommt. Stört es Sie nicht, dass sie im kommenden Jahr als Grossratspräsident mehrheitlich nicht mitstimmen können?
Ja und nein! Ausser bei den Wahlen, darf ich als Grossratspräsident bei den Sachgeschäften nicht mitstimmen und auch keine Voten zu diesen halten. Da ich aber weiterhin einer Fraktion angehöre und an den Fraktionssitzungen meiner Partei teilnehmen darf, hat meine persönliche Meinung weiterhin einen wichtigen Einfluss auf den Fraktionsentscheid. Der Nachteil ist, dass meine Stimme in der Debatte im Plenum für die Öffentlichkeit nicht hörbar wird. Es sei denn, ich müsste bei einer Patsituation den Stichentscheid fällen – was ich mir nicht unbedingt wünsche (lacht).
In Ihrer Antrittsrede haben Sie gesagt «Politik ist ein dauernder Aeschenplatz». Was meinen Sie damit?
Wer schon einmal mit einem Auto oder dem Velo den Aeschenplatz überquert hat, weiss, wie unübersichtlich und chaotisch es dort auf den ersten Blick aussieht. Der Aeschenplatz ist ein Ort, auf dem verschiedene Interessen und Überzeugungen aufeinandertreffen und Konflikte entstehen können. Mit dem Vergleich wollte ich veranschaulichen, dass Politik ein ständiger Prozess des Diskutierens, Verhandelns und Entscheidens ist, bei dem es immer wieder zu Konflikten und Unstimmigkeiten kommen kann, und dass die politischen Entscheidungen nicht immer einfach zu treffen sind bzw., dass es oft schwierig ist, alle Interessen und Überzeugungen in Einklang zu bringen. Um den Aeschenplatz unbeschadet überqueren zu können, braucht es klare Regeln, viel gegenseitigen Respekt, Rücksichtnahme und gesunden Menschenverstand, am Ende jedoch auch Entschlossenheit, um voranzukommen und ein bestmögliches Miteinander zu erreichen. Dies soll in der Politik auch möglich sein.
Sie sind als Inhaber einer Fahrschule neben der Politik als Unternehmer tätig. Wie gut lassen sich Unternehmertum und Politik vereinen?
Je nach Branche und Grösse des Unternehmens, in der man tätig ist, variiert die Vereinbarkeit stark. Im Grunde genommen ist es eine Frage der Ressourcen, die man zur Verfügung hat oder zur Verfügung gestellt bekommt. Als Fahrlehrer habe ich eine gewisse Flexibilität, was die Planung der Sitzungen und der Fahrstunden angeht. Ich muss aber als Selbständigerwerbender mit finanziellen Einbussen rechnen, wenn ich mein Arbeits-pensum zugunsten der überwiegend ehrenamtlichen politischen Tätigkeit reduzieren muss. Diese Realität in unserem Milizsystem hält viele Unternehmerpersönlichkeiten davon ab, den Einstieg in die Politik zu wagen, da sie es sich nicht leisten können oder nicht über die nötige Flexibilität verfügen.
Was raten Sie anderen Unternehmerinnen oder Unternehmern, die ebenfalls den Einstieg in die Politik wagen möchten?
Es ist wichtig, dass Unternehmerinnen und Unternehmer, die den Einstieg in die Politik planen, gut informiert und bereit sind, Zeit und Energie zu investieren. Politisches Engagement kann zeitaufwändig sein und erfordert oft eine starke Überzeugung und einen langen Atem. Wie schon erwähnt, müssen Inhaberinnen und Inhaber von Einzelfirmen und die Selbständigerwerbenden ausserdem mögliche finanzielle Einbussen in Kauf nehmen, da sie ihr Arbeitspensum reduzieren müssen. Das Networking ist in der Politik genauso wichtig wie im Unternehmertum. Es kann hilfreich sein, Kontakte zu politischen Akteuren und Organisationen zu knüpfen, um zu verstehen, wie man in der politischen Landschaft erfolgreich agieren kann.
Gibt es weitere wichtige Punkte zu beachten?
Ja. Man sollte eine klare Agenda haben, die man verfolgen möchte. Dies kann helfen, klare Ziele und Prioritäten zu definieren und den Fokus auf das zu richten, was man erreichen will. Man darf nicht vergessen, dass es in der Politik notwendig ist, Kompromisse einzugehen, um erfolgreich zu sein. Es ist wichtig, offen für Meinungsverschiedenheiten und alternative Lösungen zu sein.
Was wünschen Sie sich ganz persönlich für den Kanton Basel-Stadt.
Ich wünsche mir für unseren Kanton weiterhin eine solide wirtschaftliche Lage, welche dazu dient, die angestrebten Klimaziele ohne den Verlust des Lebensstandards rasch umzusetzen. Des Weiteren wünsche ich mir eine noch offenere und inklusive Gesellschaft.