Alles auf Null bis 2050
Temperaturdifferenzen prägen den Produktionsprozess im Bell-Schlachtbetrieb in Basel. Gemeinsam mit der Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW) vernetzt der Schlachtbetrieb in Basel seine Energieströme effizient und spart so jährlich rund 1000 Megawattstunden Fernwärme ein.
Hygiene ist das oberste Gebot im Umgang mit Frischfleisch. In einem Schlachthof wie jenem von Bell wird diese durch den Einsatz verschiedener Temperaturniveaus sichergestellt: Rund 60 Grad Celsius Wassertemperatur müssen erreicht werden, um die Tierkörper vor dem Schlachten abzubrühen und sie somit zu reinigen. Die Räume, in denen das Fleisch gelagert wird, werden wiederum heruntergekühlt, damit das Fleisch frisch bleibt. So fliessen Energieströme mit Temperaturdifferenzen innerhalb des Betriebs, um die Haltbarkeit des Fleisches zu gewährleisten. Hinzu kommen Aufenthaltsräume oder sanitäre Anlagen, die ebenfalls geheizt, belüftet oder mit Warmwasser versorgt werden. «In allen Grossbetrieben kann es dabei passieren, dass eine Lüftung ohne direkten Nutzen läuft und warme Luft einfach ins Freie abgegeben wird», sagt Michael Grässle, der Bell vonseiten der Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW) berät. «Zudem erzeugen viele Prozesse Wärme, die ungenutzt an die Umgebung abgegeben wird. Dabei könnte diese Energie gespeichert oder zum Beispiel zur Erwärmung des Reinigungswassers innerhalb des Betriebs weiterverwendet werden.»
MIT DER PINCH-ANALYSE ZU MEHR EFFIZIENZ
Genau dies hat der Bell-Schlachtbetrieb umgesetzt, indem die Wärme der grossen Abflammöfen angezapft wurde: «In diesen Flammöfen werden Temperaturen bis zu 200 Grad Celsius erreicht – Energie, die praktisch für jeden anderen Prozess verwendet werden kann», sagt Grässle. «So kann mit Energie aus dem Betrieb geheizt und der Anteil Fernwärme stark reduziert werden.» Das spare nicht nur Energie, sondern auch Kosten und entspricht dem Nachhaltigkeitsgedanken von Bell. Dieser wird im Betrieb seit Langem gelebt, wie der Projektleiter Energie und Umwelt, Roger Peier, weiss: «Wir arbeiten stetig daran, uns zu verbessern. Unser Ziel ist es, das Nachhaltigkeitsengagement laufend auszubauen und somit unseren Beitrag zu weniger Treibhausgasemissionen zu leisten.» Um mehr ungenutztes Potenzial zu entdecken, hat sich Bell zu einer Pinch-Analyse entschieden.
ENERGIE BLEIBT IM FLUSS
Die Pinch-Analyse ist eine Methode, mit der der Energiehaushalt eines Unternehmens geprüft und mit dem Ziel maximaler Wirtschaftlichkeit optimiert werden kann. Bei Bell wurde sie über den Zeitraum von zwei Jahren in mehreren Schritten durchgeführt. In einem ersten Schritt wurden dabei alle Energieströme genau erfasst, die im Schlachtbetrieb fliessen: Wo wird was geheizt, wo wird gekühlt, welche Temperaturen müssen dabei erreicht werden? Wird irgendwo stärker geheizt, als nötig wäre? So kann festgestellt werden, wo Energie eingespart werden kann. Die Prozesse des Schlachtbetriebs wurden nach den Erkenntnissen aus der Pinch-Analyse optimiert, die betroffenen Anlagen und Energiespeicher auf die richtige Temperatur eingestellt. «Dann konnten wir die verschiedenen Prozesse passend miteinander verknüpfen: Zum Beispiel wird die Wärme in der Abluft der Abflammöfen mittels eines neuen Wärmetauschers in einen Speicher der Brauchwarmwasserversorgung eingespeist. Zudem wurde das Speichermanagement optimiert, sodass der Speicher mit Abwärme priorisiert wird», sagt Grässle. Die so genutzte Abwärme ersetzt über 1000 Megawattstunden Fernwärme und rund 70 Tonnen CO2 im Jahr.
AUF BESTEM WEG ZU NETTO-NULL
Bereits vor über zehn Jahren hat Bell im Schlachtbetrieb eine Hochtemperaturwärmepumpe installiert. Diese erlaubt es, durch erzeugen eines hohen Drucks hohe Temperaturen zu erreichen, ohne dass dabei auf fossile Brennstoffe zurückgegriffen werden muss. Mit dieser Wärmepumpe spart Bell zusätzliche 160 Tonnen CO2 pro Jahr ein. «Alle Empfehlungen aus der Pinch-Analyse, die wirtschaftlich sinnvoll sind, hat Bell umgesetzt», lobt der EnAW-Berater. Das Resultat: Die verfügbare Abwärme wird intern direkt genutzt und verringert so den Bedarf an Fernwärme signifikant. Doch unverzichtbar ist der fossile Brennstoff für Bell noch nicht ganz: «Einige Prozesse benötigen ein Temperaturniveau, das nicht durch eine Wärmepumpe erreicht werden kann», konkludiert Grässle. Um von fossiler Energie wegzukommen, müssen diese Hochtemperaturprozesse künftig durch Holz, Biogas oder Elektrizität erreicht werden. Zudem sollen Produkte, bei denen dies möglich ist, auf einem Temperaturniveau gefertigt werden, das eine Wärmepumpe leisten kann. Der EnAW-Berater ist zuversichtlich, dass das Netto-Null-Ziel bis 2050 für Industriebetriebe wie Bell machbar ist. Peier bekräftigt, dass Bell weiterhin grosse Anstrengungen unternehmen wird, um dieses Ziel zu erreichen. «Um bis 2050 ganz auf fossile Energie verzichten zu können, setzen wir natürlich auch auf neue Technologien», sagt der Projektleiter Energie und Umwelt. «Diese sollen den Energieverbrauch weiter reduzieren und fossile Energieträger bald ersetzen.»
DAS SAGT DER ENERGIEBERATERDie Bell Schweiz AG und die Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW) arbeiten seit rund 20 Jahren zusammen. Dabei konnten wir die verschiedenen Standorte und Prozesse von Bell kennenlernen und im gegenseitigen Austausch optimieren. Das grundlegende Vorgehen ist stets dasselbe: Zuerst werden die Energieflüsse erfasst und die relevanten Anlagen ermittelt. Die Wärmeversorgung und -verbraucher werden dann einer Betriebsoptimierungen unterzogen. Dabei werden die Betriebsparameter den Bedürfnissen der Anlagen angepasst. Beim Schlachtbetrieb in Basel konnten zum Beispiel ein Dampfumformer ausser Betrieb genommen und so dessen Wärmeverluste vermieden werden. In einem nächsten Schritt werden ineffiziente durch effizientere Anlagen ersetzt. Der verbleibende Wärmebedarf wird durch betriebsinterne oder sogar betriebsübergreifende Abwärmenutzungen abgedeckt. Zuletzt folgt die Substitution von Brennstoffen durch CO2-neutrale Energieträger. Bei Bell in Basel heisst das, die Abwärme der Flammöfen optimal nutzen und anschliessend die Erdgasverbräuche wo möglich durch Fernwärme oder mit der Wärmepumpe ersetzen. Die regelmässige Wiederholung und kritische Prüfung der energetischen Prozesse gewährleistet auch bei Unternehmen, die sich stetig wandeln, einen effizienten Betrieb. Michael Grässle, EnAW-Berater |