«Klimagerechtigkeits-Initiative»: Klimaneutralität vor 2050 ist schlicht nicht möglich

07.06.2022

Die sogenannte «Klimagerechtigkeits-Initiative» fordert, dass der Kanton Basel-Stadt bis im Jahr 2030 Netto-Null Treibhausgase ausstösst. Die Regierung hat einen Gegenvorschlag «Netto-Null 2040» präsentiert. Beide Ziele sind in der praktischen Umsetzung nicht erreichbar. Eine Auslegeordnung.

Die «Klimagerechtigkeits-Initiative», auch «Basel2030»genannt, fordert eine Änderung der Kantonsverfassung, wonach der Ausstoss von Treibhausgasemissionen im Kanton Basel-Stadt bis im Jahr 2030 auf Netto-Null sinken muss. Dazu sollen verbindliche Absenkpfade für Treibhausgase definiert werden. Der Regierungsrat lehnt die Initiative ab, hat jedoch einen Gegenvorschlag «Netto-Null 2040» formuliert. Derzeit wird die «Klimagerechtigkeits-Initiative» in der Kommission für Umwelt, Verkehr und Energie des Grossen Rats behandelt. Eine weitere Verschärfung des Gegenvorschlags – also eine Forderung nach einer noch früheren Zielerreichung – ist angesichts der politischen Mehrheiten durchaus denkbar. Doch weder das Ziel der Initiative noch dasjenige des Gegenvorschlags ist erreichbar. Dies belegt eine vom Regierungsrat in Auftrag gegebene INFRAS-Studie. Deshalb macht sich der Gewerbeverband Basel-Stadt für eine realistische sowie eidgenössisch, interkantonal – aber auch international – abgestimmte Klimapolitik stark und setzt sich für das auf Bundesebene definierte Ziel «Netto-Null 2050» ein.

Ergebnisse INFRAS-Studie

Die INFRAS-Studie wurde vom Regierungsrat in Auftrag gegeben. Der Bericht analysiert für den Kanton Basel-Stadt die vier Szenarien Netto-Null 2030, 2035, 2040 und 2050. Die wichtigsten Ergebnisse:
Klimaneutralität ist auch mit strengsten Massnahmen bis 2030 und 2040 in Basel nicht möglich (Restemissionen: 950kg/Einwohner bzw. 375 kg/Einwohner pro Jahr),
Netto-Null 2050 ist in Bezug auf Wirtschafts- und Sozialverträglichkeit sowie technische Machbarkeit den anderen Szenarien deutlich überlegen,
Massnahmen in Bereichen wie Mobilität oder Gewerbe und Industrie liegen nicht im Kompetenzbereich der Kantone. Die Handlungsmöglichkeiten des Kantons sind sehr beschränkt.

Netto-Null = Brutto-Null in Basel-Stadt

Netto-Null oder Klimaneutralität bedeutet, dass nicht mehr Treibhausgase ausgestossen werden dürfen, als natürliche Speicher (z.B. Bäume) und technische Speicher (Negativemissions-Technologien) aufnehmen können. Die Krux: Technische Speicher sind in der Praxis noch nicht in wirksamem Umfang einsetzbar. Weil natürliche Ansätze wie Aufforstungen auf unserem kleinen Kantonsgebiet nicht möglich sind, kommt auch der Regierungsrat zum Schluss, dass ein Netto-Null-Ziel in Basel-Stadt faktisch ein Brutto-Null-Ziel bedeutet. Das heisst konkret: Weil im Kanton Basel-Stadt kaum Treibhausgase aufgenommen bzw. gespeichert werden können, kann das Ziel der Klimaneutralität nur erreicht werden, indem überhaupt keine Treibhausgase mehr ausgestossen werden.

Versorgungssicherheit als oberste Priorität

Laut der nationalen Risikoanalyse stellt eine länger andauernde Strommangellage die grösste Gefahr für die Schweiz dar. Die Ursache dafür liegt unter anderem darin, dass durch die Dekarbonisierung stärker auf Elektrizität gesetzt wird (z.B. Mobilität) und dadurch massiv mehr Strom produziert werden muss. Es muss mit mindestens dem doppelten Stromverbrauch gerechnet werden. Der Umstieg auf erneuerbare Energiequellen führt jedoch dazu, dass in den Wintermonaten nicht genügend Strom produziert werden kann und Winterstromlücken drohen. Die finanziellen Schäden einer Strommangellage belaufen sich nach Schätzungen des Bundes auf 10 Milliarden Franken. Hinzu kommt, dass sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit um rund 90 Milliarden Franken reduzieren würde. Die Energiepolitik sollte sich deshalb in erster Priorität der Versorgungssicherheit widmen. Die Klimaziele sind nachgelagert zu verfolgen.

Nationale und internationale Abstimmung der Klimaziele

Der Kanton Basel-Stadt allein kann die Klimakrise nicht bewältigen. Es braucht eine national und international koordinierte Zusammenarbeit. Der Bundesrat hat dazu im Rahmen des Pariser Klimaabkommens 2019 beschlossen, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral sein soll. Auch der breit abgestützte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative unterstützt diese Stossrichtung. Aufgrund des kleinen Kantonsgebiets von Basel-Stadt ist auch eine Abstimmung der Klimaziele mit den angrenzenden Kantonen sinnvoll. Mit der Klima-Charta der Nordwestschweizer Regierungskonferenz haben sich die fünf Nordwestschweizer Kantone dazu verpflichtet, die Zusammenarbeit in der Klimapolitik zu stärken und die Netto-Null-Strategie des Bundes zu unterstützten. Netto-Null bis 2050 ist zwar ehrgeizig, aber erreichbar – alle früheren Zeitpunkte sind schlichtweg unrealistisch.

Fachkräftemangel und Lieferengpässe hindern schnelle Umsetzung

Damit Klimaneutralität erreicht werden kann, müssen Fotovoltaikanlagen installiert, Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzt, Fenster und Wände isoliert werden. Für eine zeitnahe Umsetzung im gesamten Gebäudepark benötigt es zusätzliche kompetente Fachkräfte. Diese fehlen aber derzeit national und international. Hinzu kommt, dass durch die weltweit erhöhte Nachfrage nach erneuerbaren Energieversorgungsmöglichkeiten und aufgrund von Lieferengpässen die Wartefristen für Wärmepumpen oder Solaranlagen steigen. Die Wartefrist für eine Luft-Wasser-Wärmepumpe beträgt zurzeit bis zu einem Jahr. Die Sanierungsquote von heute 1 Prozent kann also kaum auf die nötigen 3 Prozent (für Netto-Null 2050) erhöht werden.