«Sparen Sie Strom – jetzt erst recht»
Sowohl KMU als auch die Haushalte sollten sich schon jetzt auf mögliche Engpässe in der Stromversorgung während der kälteren Jahreszeit vorbereiten. Das sagt Lukas Küng, Geschäftsleiter der Primeo Netz AG und Chef der Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen (OSTRAL).
«kmu news»: Herr Küng, das Thema Strommangellage ist ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Schlafen Sie noch gut?
Lukas Küng: Ja, kurz und tief.
Haben Sie sich für den Eigenbedarf bereits einen Elektrogenerator gekauft?
Nein. Ich vertraue auf die Stromversorgung. Ich habe eine elfjährige Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und eine zweijährige Photovoltaik-Anlage an der Fassade. Wenn das Stromnetz nicht verfügbar ist, funktionieren aber auch diese Anlagen nicht mehr.
Können Sie das Risiko einer Strommangellage oder gar eines länger anhaltenden Stromausfalls in den kälteren Monaten abschätzen?
Nein, das Risiko abschätzen kann ich nicht. Mehrere Einzelereignisse haben aber das Risiko in den letzten Monaten erhöht.
Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen denn in der heutigen Situation, um eine Strommangellage oder einen Blackout abzuwenden?
Ich denke, wir alle sind gefordert, unseren Energiekonsum zu drosseln – und zwar schon jetzt im Sommer und natürlich darüber hinaus. So bleibt mehr Strom, um unsere Speicherseen zu füllen oder ins Ausland zu exportieren. Letzteres, damit unsere Nachbarn die Gasspeicher für den Winter füllen können. Wir könnten auch unsere lokale Energieproduktion mit neuen Kraftwerken erhöhen.
Wie gut ist die Schweiz auf derartige Szenarien vorbereitet?
Grundsätzlich ist die Schweiz im Vergleich mit unseren Nachbarn in Europa gut aufgestellt. Wir importieren nur wenig Strom im Winter. Mit der Stromkontingentierung, bei der alle Grosskunden 5 bis 15 Prozent Strom einsparen müssten, haben wir eine volkswirtschaftlich verdaubare Massnahme vorbereitet. Die Speicherseen nützen uns, wenn sie genügend voll sind, eine flexible Lösung anzubieten.
Wer ist gefordert, falls sich die Lage zuspitzen sollte?
Wir alle sind gefordert, wie bei der Pandemie – insbesondere auch alle grossen Stromverbraucher, die ihren Verbrauch verbindlich auf die zugeteilte Ration beziehungsweise ihr Kontingent senken müssten.
Welche Massnahmen sieht die OSTRAL für den Fall vor, dass sich die Situation verschärfen sollte?
Es gibt vier Massnahmen. Erstens: unverbindliche Sparappelle. Bundesrätin Simonetta Sommaruga und Bundesrat Guy Parmelin haben bereits damit begonnen, die OSTRAL bekräftigt dies. Zweitens: Verbrauchsverbote beispielsweise für Schaufensterbeleuchtungen oder auch die private Sauna und weitere Stromverbraucher. Drittens: Kontingentierungen – wie oben erwähnt. Die vierte und letzte Massnahme wären dann zyklische Stromabschaltungen mit Intervallen.
Wie könnten diese zyklischen Stromabschaltungen aussehen?
Vorbereitet ist abwechslungsweise vier Stunden Strom, gefolgt von vier Stunden Stromunterbruch. Diese letzte Massnahme möchten wir unter allen Umständen über eine längere Zeitperiode vermeiden, weil mit diesen Massnahmen natürlich viele Lieferketten und auch der öffentliche Verkehr nicht mehr funktionieren.
Bestehen bereits vorbehaltene Entschlüsse beispielsweise dahingehend, welche Einschränkung ab wann wo gilt? Und wie muss man sich das in der Praxis vorstellen?
Es gibt sicherlich seitens des Bundesrats Entwürfe von Bewirtschaftungsverordnungen. Diese sind aber der OSTRAL beziehungsweise der Stromwirtschaft nicht bekannt. Die Idee dahinter ist, dass niemand aus wirtschaftlichen Gründen auf eine Mangellage spekulieren könnte. Der Bundesrat wird situativ, je nach Strommangellage, entscheiden, was er zu welchem Zeitpunkt umsetzt. Die mildesten Massnahmen kommen zuerst zur Anwendung.
Wie wird die Arbeit der OSTRAL mit den Kantonen koordiniert?
Alle Netzbetreiber sind in der OSTRAL organisiert und haben die Aufgabe, sich mit den lokalen Krisenstäben auszutauschen. Die Primeo Netz AG beispielsweise ist in engem Kontakt mit den Krisenstäben der Kantone Solothurn und Baselland, die sich regelmässig zur Strommangellage austauschen.
Was empfehlen Sie als Vorbereitung auf eine Strommangellage oder gar einen länger anhaltenden Blackout – einerseits den KMU, andererseits auch den Haushalten?
Ich empfehle vier Massnahmen. Erstens: Alle KMU mit einem Verbrauch von mehr als
100 000 kWh pro Jahr sollten sich dringend auf die Kontingentierung vorbereiten und sich folgende Fragen stellen: Wo verbrauchen wir wieviel Strom, wie können wir Strom einsparen, damit unsere Produktion oder Dienstleistung möglichst weiterläuft. Zweitens: Für KMU mit heiklen Prozessen gilt die Empfehlung, allfällig vorhandene Netzersatzanlagen zu prüfen. Allenfalls können Sie auch mal eine Blackout-Übung machen und sehen, wie Türschliessungen, Überwachungen, IT-Systeme etc. funktionieren. Das hilft auch, einen gewöhnlichen kurzen Stromausfall zu meistern. Drittens empfehle ich den Haushalten, ein paar Kerzen und Zündhölzer an einem auch im Dunkeln auffindbaren Ort aufzubewahren. Diese sind auch bei einem kürzeren Stromunterbruch hilfreich. Und viertens schliesslich gilt die Empfehlung sowohl für Haushalte als auch für KMU: Sie sollten möglichst Strom sparen. Die Energie- und Strompreise sind sehr hoch und werden ab dem 1. Januar 2023 auch für die Kunden in der Grundversorgung ansteigen. Mit Strom sparsam und effizient umzugehen, lohnt sich immer – und jetzt erst recht.